Neue Publikation: „Zeitliche Verlaufsformen von Entscheidungsprozessen in Organisationen“

Das Garbage Can Model (Cohen/March/Olsen 1978; 2012) (GCM) wird häufig zitiert, allerdings weniger häufig als andere Organisationstheorien. Eine Suche bei http://www.scholar.google.com zeigt folgende Resultate:

  • „Garbage Can Model“: 14.300 Treffer
  • “Resource Dependence Theory”: 16.600 (“Resource Dependence Perspectice”: 20.400)
  • “Behavioral Theory of the Firm”: 25.200
  • “Transaction Cost Theory”: 34.600
  • “Rational Choice Theory” 78.500

Die relativ geringe Anzahl von Zitationen mag damit zusammenhängen, dass eine Arbeit mit dem Modell voraussetzungsvoll ist. Erstens ist ein mindestens rudimentäres Verständnis von Programmiersprachen allein schon deswegen notwendig, um das GCM angemessen zu verstehen. Zweitens ist nicht so einfach, mit dem Modell konkret in der Forschung zu arbeiten. Man kann zum einen den Weg der empirischen Studie wählen oder zum anderen den der Simulation. Empirische Studien sind anspruchsvoll, weil man z.B. Wissen über Entscheidungsgelegenheiten, Teilnehmer, Probleme und Lösungen benötigt. Man müsste u.a. wissen, wer an welchen Entscheidungen teilnimmt (Zugangsstrukturen), wie die hierarchische Position der Teilnehmer ist (Wichtigkeit), wie viel Zeit die Entscheider haben, wie ihre Zeit von anderen Problemen in Anspruch genommen wird, über welches Problemlösungswissen sie verfügen, welches Problem wie wichtig ist etc. Es dürfte sehr schwer sein, in Betrieben oder anderen Organisationen Zugang zu solchen Informationen zu erhalten. Dabei wäre es sicher interessant, etwas über die Entscheidungen der Deutschen Bank über die Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte oder über Bayers Entscheidung über den Kauf von Monsanto aus einer GC-Perspektive in Erfahrung zu bringen. Vielleicht wurden die ersten empirischen Studien mit dem GCM deswegen in Schulen und Universitäten durchgeführt, weil die Zugangsmöglichkeiten für die Forscher dort besser sind. Wenn man nicht – im engeren Sinne – empirisch mit dem GCM arbeiten will, wendet man das Simulationsmodell an. Man kann zu neuen Erkenntnissen kommen, wenn man die Annahmen und Parameter modifiziert und die auf dieser Basis resultierenden Ergebnisse der Simulationsläufe analysiert. Der meiner Kenntnis nach einzige Wissenschaftler im deutschsprachigen Raum, der sich intensiver mit dem CGM befasst und es weiterentwickelt, ist Albert Martin. Bereits in seiner Habilitationsschrift hat er eine modifizierte Version des ursprünglichen CGM angewandt und die Befunde seiner Simulationsläufe vorgestellt sowie diskutiert (Martin 1989). Jüngst hat er ein dem GCM sehr verwandtes Modell entworfen, das sich mit der Problemzuwendung befasst. Martin schreibt:

„Der Beitrag beschäftigt sich mit dem zeitlichen Verlauf von Entscheidungsprozessen in Organisationen. Anhand eines Simulationsmodells werden die zeitlichen Konsequenzen von Defiziten in der Problemzuwendung aufgezeigt. Als weitere Einflussgrößen werden der Problemzufluss,  die Problemlösungskapazitäten und die Problemlösungsfähigkeiten betrachtet, sowie die Schwierigkeiten und Hindernisse,  mit denen kollektive Entscheidungsprozessen in Organisationen konfrontiert werden. Das Simulationsmodell beschreibt das Zusammenwirken dieser Größen. Es zeigt, dass der zeitliche Verlauf von Entscheidungsprozessen ganz maßgeblich von strukturellen Parametern bestimmt wird, die sich nur in begrenztem Maße beeinflussen lassen, die sich also – paradoxerweise – dem willentlichen Entscheidungshandeln entziehen.“ (Das Papier kann hier heruntergeladen werden: https://www.econstor.eu/bitstream/10419/195922/1/1663303703.pdf)

Literaturverzeichnis

  • Cohen, Michael D.; March, James G.; Olsen, Johan P. (1972): A Garbage Can Model of Organizational Choice. In: Administrative Science Quarterly 17 (1), S. 1–25.
  • Cohen, Michael D.; March,, James G.; Olsen, Johan P. (2012): A Garbage Can Model At Forty: A Solution that Still Attracts Problems. In: Alessandro Lomi und J. Richard Harrison (Hg.): The Garbage Can Model of Organizational Choice: Looking Forward at Forty (Research in the Sociology of Organizations, Volume 36) Emerald Group Publishing Limited. Howard House et al.: Emerald Group Publishing Limited, S. 19–30.
  • Martin, A. (1989): Die empirische Forschung in der Betriebswirtschaftslehre. Stuttgart.
  • Martin, Albert (2019): Zeitliche Verlaufsformen von Entscheidungsprozessen in Organisationen. Ein Simulationsmodell der Problemzuwendung. Lüneburg: Heft 49. Schriftenreihe des Instituts für Mittelstandsforschung Universität Lüneburg. Zum Download: https://www.econstor.eu/bitstream/10419/195922/1/1663303703.pdf

Bidquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Garbage_Can_Model_Arena.png

DIW Berlin: Wie Bildungsentscheidungen mit Persönlichkeitseigenschaften zusammenhängen

„Unter Ökonomen setzt sich verstärkt die Erkenntnis durch, dass für die Erklärung ökonomischen sowie generellen Verhaltens neben kognitiven Fähigkeiten auch Faktoren wie soziale Fertigkeiten und Wertvorstellungen eine wichtige Rolle spielen. Entsprechend wird in ökonomischen Entscheidungsmodellen zunehmend auch die Rolle von Persönlichkeitseigenschaften berücksichtigt. Insbesondere bei Studien zum Arbeitsmarktverhalten oder Bildungsentscheidungen werden oftmals Eigenschaften wie z.B. Risikoneigung, Kontrollüberzeugung oder auch Persönlichkeitseigenschaften miteinbezogen. Dabei zeigt sich, wie wichtig es ist, neben den kognitiven Fähigkeiten auch die nicht-kognitiven Fähigkeiten bei der Untersuchung von Entscheidungssituationen zu berücksichtigen. Im Folgenden werden aktuelle Ergebnisse zu dem Zusammenhang zwischen Persönlichkeitseigenschaften und Bildungsentscheidungen dargestellt.“

via DIW Berlin: Wie Bildungsentscheidungen mit Persönlichkeitseigenschaften zusammenhängen.

Nicht, dass ich hier Zweifel an diesem Ansatz anbringen wollte, aber was ist dann noch Ökonomik? Die Analyse des Ökonomischen (was auch immer dann genau das Ökonomische ist)? Dabei sollten wir aber nicht übersehen, dass die meisten Ökonomen nach wie vor die Annahmen für brauchbar halten, die man mit dem Kürzel „homo oeconomicus“ beschreibt. Klar, für wahr halten sie die Annahmen nicht, „als ob“ reicht ja, so meint die Mainstream-Ökonomik. Trotz „Behavioral Economics“ lebt in den Lehrbüchern immer noch der vollständig rationale, allwissende und asoziale Entscheider.

Wenn es um Fragen wissenschaftlicher Arbeitsteilung und damit auch der Verteilung von Ressourcne geht, birgt die Psychologisierung der Ökonomik ebenso wie der Theorieimperialismus der Ökonomik (genauer: der Ökonomen) Konflikte in sich. Aber genau diese sind wesentliche Bewegkräfte von Veränderung (und Beharrung). Schaun wir mal…